„Eine Frauenbewegung, die angepasst ist, ist keine Frauenbewegung mehr“
in „Ö1-Gedanken“ am 29.12.2019: „Mit aller Kraft gegen Gewalt“ https://oe1.orf.at/programm/20191229/582946/Andrea-Brem-Mit-aller-Kraft-gegen-Gewalt
„Zurückblickende und vorausschauende Gedanken der Leiterin der Wiener Frauenhäuser.“
Fritz Endl: Vorbemerkung zu diesem „Gedanken“-text: Ich bin sehr beeindruckt gewesen, als ich mit meiner frau Helga diese Ö1-sendung am 29.12. gehört habe. In unserem wohnhaus und im „Triesterviertel“ leben vermutlich ebenfalls frauen und kinder, deren häuslichen gewalterfahrungen Frau Brem so eindrücklich beschreibt. Eine zusammenarbeit mit mitarbeiterinnen der „Wiener Frauenhäuser“ würde ich mir daher auch für unser „Triesterviertel“ sehr wünschen. Vielleicht kann das im jahr 2020 möglich sein.
Einleitung: (ORF)
Es sind nicht nur die beachtlichen politischen und gesellschaftlichen Errungenschaften und Fortschritte im Kampf gegen Gewalt an Frauen, aus denen die langjährige Leiterin der Wiener Frauenhäuser https://www.frauenhaeuser-wien.at/ Frau Andrea Brem ihre Motivation bezieht, es sind vor allem die täglichen kleinen und großen Erfolge. Überspitzt gesagt: Die Summe der Einzelfälle wiegt mehr als das Ganze.
In Österreich gibt es 30 Frauenhäuser. Allein in den vier Wiener Einrichtungen werden aktuell Jahr für Jahr über 600 Frauen und ebenso viele Kinder betreut. Die Zahlen steigen. Verantwortlich dafür sei nicht nur ein „gesellschaftlicher Backlash“, warnt Andrea Brem, sondern auch neue Formen des Psychoterrors: „Cybergewalt – mittels Mobbing, Spyware und Erpressung – nimmt in letzter Zeit stark zu.“
Bereits während des Studiums an der Sozialakademie arbeitete Andrea Brem als Praktikantin in einem Frauenhaus. Vor über 30 Jahren begann ihre hauptberufliche Laufbahn beim „Verein Wiener Frauenhäuser“. Seit 2001 ist sie als dessen Geschäftsführerin tätig. Im Vorjahr wurde sie anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Eröffnung des ersten Frauenhauses in Wien mit dem Goldenen Verdienstzeichen des Landes Wien und dem Frauenpreis der Stadt Wien ausgezeichnet. In diesen vergangenen 40 jahren hat sich manches zum guten verändert, aber noch lange nicht genug, denn die gewalt gegen frauen äußert sich weiterhin nicht nur körperlich und psychisch, sondern auch ökonomisch und stukturell. Sie hat viele facetten, aber nur ein gesicht, ein männliches. „Gewalt“, erkannte schon Eysack Eysimoph, „ist die letzte Zuflucht des Unfähigen.“
Den Opfern dieser Unfähigen ist Andrea Brems Beruf und Berufung. Und trotz der beachtlichen beruflichen und gesellschaftlichen Errungenschaften und Fortschritte sind es vor allem die täglichen kleinen und großen Erfolge, die Einzelfälle, aus denen sie ihre unermüdliche Motivation bezieht.
Foto: Clemens Fabry – DiePresse.com 12.9.2018
„Jede Frau, der es gelingt, der häuslichen Gewaltsituation zu entkommen, ist ein großer Gewinn“, erläutert Andrea Brem, „und jedes Kind, das nicht in den Sog der familiären Gewaltspirale gezogen wird und daher später einmal nicht selbst Täter oder Opfer wird, ist ein fundamentaler Beitrag für die Zukunft und die Gesundung unserer Gesellschaft.“
Fritz Endl: Ungekürzte Mitschrift (Hervorhebungen FE)
Die Mitbetroffenheit der Kinder bei häuslicher Gewalt.
„Es sind die geschichten der frauen, dass frauen wahnsinnig verletzt, seelisch und körperlich, zu uns kommen und sie nach ein paar monaten als selbstbewusste frauen wieder ausziehen, die wieder freude am leben gefunden haben, die vielleicht einen job haben, der ihnen spass macht, sie vielleicht das erste mal in ihrem leben einen wohnungsschlüssel in ihrer hand haben und die einfach wieder lust haben, sich mit menschen zu treffen und auch fortzugehen. Wenn man das erlebt, dann macht das einfach ziemlich happy, weil dieser unterschied so ein großer ist. Man muss ja denken, es sind ja nicht nur die frauen, es sind ja eine riesige schar von kindern, denen wir da ein neues gewaltfreies leben ermöglichen. Das finde ich wahnsinnig wichtig, weil die mitbetroffenheit der kinder bei häuslicher gewalt ist einfach entsetzlich. Sie wird oft noch verharmlost, aber wenn kinder miterleben, wenn der papa die mama haut, dass die mama um hilfe schreit, dass die mama verletzungen hat, dass sie zerstörte gegenstände finden, das ist der blanke horror für kinder. Das ist genauso traumatisierend wie wenn sie selber misshandelt werden. Also die kinder allein sind schon total wert, dass man da hilfe leistet. Das ist keine frage.“
Gleichberechtigung in der Ehe gibt es erst seit einer Generation.
„Eigentlich ist es ja noch nicht gar so lange her, dass überhaupt einmal die gleichberechtigung der frauen in der ehe fest gelegt worden ist. Das war erst 1975. Das ist erst vor einer generation, wo das passiert ist. Da wurde erst einmal festgeschrieben, dass der mann nicht mehr bestimmen konnte, dass die frau berufstätig sein darf oder nicht oder den reisepass der frau unterschreiben musste. Dass der gesellschaftliche sprung, den wir da her gemacht haben, eigentlich noch gar nicht so lange her ist und die nachwehen sozusagen immer noch in unser leben hineinspielen.
Die neuordnung des kindschaftrechts, die ist ganz wichtig, die 77 passiert ist, wo überhaupt einmal die väterliche gewalt sozusagen abgeschaftt worden ist und vater und mutter mit gleichen rechten und pflichten für die kinder zu sorgen haben. Das war natürlich auch ein riesen meilenstein und auch dass die kinder nicht nur gegenstand elterlicher bestimmung waren sondern auch eigene rechte haben. Beides waren maßnahmen, die das thema „Häusliche Gewalt“ sozusagen verändert haben. Und ich denke, es ist auch kein zufall, dass die eröffnung des ersten Frauenhauses 1978 auch in diese zeit gefallen ist.
Männer haben oft ein starkes Besitzdenken ihrer Familie gegenüber
Ich glaube, die errungenschaften der frauenbewegung und auch der frauenpolitik damals, das muss man schon sagen, das war ein zusammenspiel. Dass die oftmal heutzutage als zu selbstverständlich genommen werden, aber sowohl die möglichkeit der abtreibung als auch die familienrechtsänderungsreform und auch die schaffung von frauenhäusern. Die waren wirklich meilensteine für frauen. Bis 78 konnten frauen, die keine möglichkeit hatten, irgend woanders hinzugehen, einfach nicht von daheim weg. Sie waren den gewalttaten einfach ausgesetzt und sind immer wieder zu irgendwelchen nachbarn geflüchtet daheim, weil sie nirgends wohin konnten, weil ihnen niemand geholfen hat. Das war eine ganz schreckliche zeit für frauen eigentlich. Mit der schaffung von frauenhäusern hat sich ein bisschen das machtverhältnis geändert. Allein dadurch, dass die frauen die möglichkeit haben, irgendwo hinzugehen. Da ist einfach ein ausweg da und sei es nur einmal ein gedanklicher ausweg. Zu sagen: Ja, ich könnte mir hilfe holen. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger schritt, der auch ein bisserl zu einer machtveränderung geführt hat.“
Wie wir das Frauenhaus eröffnet haben, war das natürlich auch mit viel spott und häme verbunden. Ich weiß noch, dass in einem der ersten interviews, das damals die Johanna Dohnal und die Irmtraud Leyrer-Karlsson, die damals sozusagen für die Frauenhäuser gestanden sind, geführt haben, schon die ätzenden meldungen gekommen sind: Ja, die frauen misshandeln ja auch ihre männer und wieso werden dann keine männerhäuser geschaffen. Das ist glaube ich die am häufigsten gestellte frage, die mir in meiner ganzen zeit im frauenhaus gestellt worden ist und fast jedem vortrag in jeder schulung meldet sich irgendwer, meistens ist es auch durchaus eine frau zu wort, die sagt: Ja, in meinem bekanntenkreis gibt es auch einen mann, der wird von seiner frau geschlagen. Das ist ganz wichtig, mir das zu sagen, mir als frauenhausmitarbeiterin. Als würden wir in einer anderen welt leben. Wir wissen natürlich auch, dass es auch gewalt gegen männer gibt. Es gibt wahnsinnig viel gewalt gegen junge männer, meist ausgeführt von anderen jungen männern. Aber wenn wir das thema der häuslichen gewalt nehmen und unsere frauen nehmen. Die fürchten oft um ihr leben, also das muss man wirklich sagen. Da geht es um todesängste. Die sind schwerst misshandelt, sie werde terrorisisiert bis aufs blut. Das was wir immer wieder feststellen, ist, dass männer ein wahnsinniges besitzdenken gegenüber familie haben. Die frau gehört mir und die kinder auch. Wir wissen mittlerweile und das ist wissenschaftlich und man kann es auch aus den medienberichten entnehmen, dass die gefährlichste zeit für frauen ist die, wo sie gehen, die zeit der trennung, die, wo die frauen sagen: Ich kann nimmer. Ich verlass jetzt meinen mann, weil sonst passiert furchtbares. Das ist auch die zeit, wo sie am gefährdetsten sind. Und da brauchen die frauen wirklich unterstützung und hilfe. Und wenn sie das nicht erhalten, passiert oft wirklich das was wir dann in den zeitungen wiederfinden, bis hin zur ermordung von frauen und auch kindern. Und ich denke, ein teil dieser haltung ist einfach: Das ist mein besitz und wenn der besitz verloren geht, das lass ich nicht zu. Es gibt einen UN-Report, der besagt, dass 87 000 frauen weltweit 2017 ermordet worden sind und 58 % davon von ihren partnern oder familienangehörigen. Das bedeutet, dass weltweit jede stunde sechs frauen ermordet werden von männern, die sie kennen. UN-Sekretär Antonio Guiterres hat in dem zusammenhang von einer globalen Pandemie gesprochen. Das muss man sehen. Das ist kein einzelfallschicksal, sondern das ist eine politische dimension weltweit, werden frauen ermordet und verfolgt. Auch die schrecklich hohe zahl in Österreich, wo frauen ermordet worden sind und auch heuer schon waren es viele. Das müsste doch irgendwie den menschen langsam klar machen, dass es ein geselschaftspolitisches mann-frau-problem ist. Aber irgendwie wird das immer so verharmlost. Natürlich ist es auch schlimm, wenn ein mann eine ohrfeige kriegt, aber ich denke, der fürchtet nicht so um sein leben. Und das schadet seiner gesundheit nicht in dem ausmaß wie frauen, die jahrelang massiven psychoterror ausgesetzt sind. Das sind einfach andere dimensionen. Natürlich muss man auch männern helfen, die ein problem haben, das ja gar keine frage. Wir haben zum glück in Österreich Männerberatungsstellen. Es gibt nicht so wahnsinnig viele, die sich dorthin wenden mit diesem thema, aber sie stehen ebenfalls zur verfügung. Männer, die merken, dass sie gewalttätig sind und das ändern möchten. Das finde ich ist eine großartige geschichte, weil wenn ich spüre, ich habe mich nicht im griff, ich bin übergriffig und und und. Das wäre ein ziemlich mutiges männliches zeichen und signal.“
Häusliche Gewalt ist keine Privatsache
„Ja, wir haben dann 1978 das erste Frauenhaus, wo dann frauen endlich eine möglichkeit hatten, hinzuflüchten, aber was uns dann so beschäftigt hatte, war das thema des „böswilligen verlassens“. Die gewalt wurde also nicht anerkannt als ein grund, die beziehung zu verlassen, sondern es hieß „böswilliges verlassen“ und war ein grund, der eigentlich gegen die trennung und gegen die frau verwendet wurde. Dahinter stand ein sehr konservatives bild von der unauflöslichkeit der ehe oder „das war auch schon bei meiner mutter so“ oder „das hat einfach eine frau auszuhalten“, aber auch und das finde ich sehr entscheidend, dass es ein stück weit privatsache ist. Und ich glaube, dass es eine der größten leistungen in der frauenhausbewegung war, dass sie gesagt haben, nein, häusliche gewalt ist keine privatsache, sondern das geht uns alle an. Im gegenteil, wir haben als gesellschaft die aufgabe, uns einzumischen. Wir müssen frauen und kinder schützen und wir müssen zivilcourage beweisen. Wir müssen stellung beziehen und frauen müssen rechte haben, damit sie sich das nicht gefallen lassen. Das klingt jetzt so banal, weil es ein stück jetzt schon so selbstverständlich ist. 1978 war das überhaupt nicht selbstverständlich. Da war, was hinter der verschlossenen tür passiert, das darf nicht nach außen dringen. Und ich denke mir, das war eigentlich ein großer schritt, den wir errungen haben, dass häusliche gewalt keinesfalls eine privatsache ist.“
Rechtlich hat sich viel getan, aber es gibt wenige Verurteilungen
„Ja, ich glaube auch, dass wir viel erreicht haben und das – und darauf bin ich auch sehr stolz- auch auf gesetzlicher ebene. Wir haben bei vielen gesetzen in diesem bereich die initialzündung gegeben, sei es stalking, sei es die fortgesetzte gewaltausübung, sei es vergewaltigung in der ehe. Die war ja erst 1989 strafbar. Bis dahin konnte ein mann ohne jede angst vor strafe seine frau jeden abend vergewaltigen. Das muss man sich erst einmal vorstellen. All das ist heute schon so undenkbar. Das war die realität der frauen, die in dieser zeit gelebt haben oder davor. Da haben wir wirklich viel erreicht. Da können wir auch stolz drauf sein. Da wo es nicht ganz klappt, ist zum beispiel: Wir haben eine wahnsinnig niedrige verurteilungsrate. Das heißt, es gibt zwar gesetzliche möglichkeiten, aber es gibt viele freisprüche, viele einstellungen von verfahren. Das macht uns immer wieder sehr unglücklich, weil eine einstellung von einem verfahren bedeutet für die frau wieder ein stück weit eine demütigung und es bedeutet auch einen freibrief für den täter, weil er weiß ja, was er getan hat und wenn er weiß, dass er einen freispruch bekommt, bedeutet das für ihn, ja das war eh okay, sein handeln und wird nicht staatlich sanktioniert. Das ist natürlich sehr beklemmend und wenn man dann bei einer reform nur daran dreht, dass man die strafen erhöht. Das ist leicht gedreht, das kostet nicht viel. Präventiv machts keinen sinn, weil kein mensch überlegt sich, bevor er jemanden schlägt oder eine frau vergewaltigt, wie das mindestmaß seiner strafdrohung ist, also für eine prävention ist so eine erhöhung der strafe sinnlos. Und wenn man eh keine verurteilung hat, hat man auch nicht von einer erhöhung der strafe. An dieser schraube zu drehen, wäre schwieriger, wäre kostenintensiver. Das ist auch jetzt nicht passiert. Wir bräuchten eine verpflichtende schulung für richter*innen und staatsanwält*innen. Ich möchte vorweg sagen, wir haben superrichter*innen und staatsanwält*innen. Es ist keinesfalls so, dass man diese berufsgruppen in ihrer kompetenz angreifen will, aber es müssen bürger*innen ein recht darauf haben, dass man auf ein verständnis für traumatisierung, familiäre gewalt oder dynamik für familiäre gewalt stoßen. Da würde eine verpflichtung helfen. Ich glaube wirklich, dass wir da eine personalknappheit haben. Es braucht mehr budget für richter*innen und staatsanwält*innen. Das ist wirklich eine der wichtigen punkte im gewaltschutz.“
Das Wegweiserecht war ein großer Erfolg der Frauenhausbewegung
„Einer der großen meilensteine, die letzten endes auch auf grund von initiativen der frauenhäuser gekommen sind, war 1997 das bundesgesetz zum schutz vor gewalt in der familie das wegweisungen und betretungsverbote ermöglichte. Ich kann mich noch erinnern. Wir waren damals noch etwas aktionistischer unterwegs und wir haben da zum beispiel eine aktion gemacht, wo wir uns einen kleinen LKW gemietet haben und auf dem so ein wohnzimmer nachgestellt haben, um zu zeigen, wie der mann bequem vorm fernseher in seiner wohnung sitzt, während die frau im stockbett in einem engen zimmer mit mehreren frauen noch – das hat sich ja schon verbessert, aber damals noch zusammenlebenmussten. Und die haben gesagt, das ist doch überhaupt nicht einzusehen, dass das opfer, die frau und die kinder in institutionen leben müssen und der mann, der täter in diesem fall, in der wohnung bleiben kann. Das war sozusagen die motivation, immer wieder zu fordern, wir brauchen auch die möglichkeit, dass ein gewalttäter aus der wohnung verwiesen wird. Das war damals für die mehrheit unvorstellbar, dass so ein gesetz kommt, weil, dass man jetzt einen mann aus seiner wohnung vertreibt. Das hat schon auch wieder einen gesellschaftlichen paradigmenwechsel bedurft, dass dieses gesetz umgesetzt werden konnte. Und das waren wirklich harte zähe diskussionen zwischen NGO´s und damals dem Justizministerium und auch dem Bundesministerium für Inneres. Da ist wirklich etwas gelungen, gerade in diesen kontroversen diskussionen, die auch wirklich hart geführt worden sind, ist ein gesetz entstanden, für das wir ein paar jahre später in ganz Europa gelobt worden sind. Viele länder in Europa haben das gesetz, das in Österreich entstanden ist, nachher in ihren ländern in ähnlicher form implemetiert. Das war wirklich eine tolle geschichte und ich vermisse die zeit, wo man in ruhe diskutiert hat. Ich habe jetzt das gefühl beim gewaltschutzpaket 3, das ist ja auch sehr ambitioniert begonnen worden, breit begonnen worden mit vielen NGO’s, aber irgendwann ist alles ruckzuck gangen, die NGO’s sind nicht mehr gefragt worden im feinschliff. Das ist dann alles schnellschnellschnell. Ich habe keine ahnung, warum man sich da nicht ein bissl mehr zeit gelassen hat, das noch einmal zu überlegen. Noch einmal nachzubessern, noch einmal zu hören, was die leute aus der praxis sagen. Weil wir sind natürlich unheimlich nah dran an den familien. Wir kriegen ja die frauen tag und nacht mit, auch die kinder. Die leben ja bei uns. Wir sehen, ob sich kinder auf einen besuch mit dem vater freuen oder furchtbar fürchten, wir sehen, ob eine frau ganz entspannt zur scheidung geht oder vor angst in einen ausnahmezustand kommt. Wir sehen so viele dinge oder wir kriegen mit, ob eine frau liebevoll mit einem kind ist oder wir eigentlich maßnahmen setzen müssen, wo sie unterstützung in der erziehung bekommt. Und dass diese stimme nicht gehört wird, das geht nicht. Diese stimmen der NGO’s, das ist genauso wichtig wie die der staatlichen organe. Ich habe das gefühl, dass wir jetzt eine gesellschaft und auch das gewaltschutzgesetz 3, dass das ein bissl das polizeischutzgesetz, also opferschutz aus sicht der polizei. Das, was die NGO’s gesammelt haben, das ist teilweise eh angenommen worden, aber es ist dann so ausgelegt worden, wie es die polizei sieht, weil’s ein gesetz war, das aus dem Innenministerium herausgekommen ist. Und die ganze abwertung der NGO’s, das ist jetzt was neues. Da ist auch die Caritas im vorjahr massiv angegriffen worden. Aber was wäre unsere gesellschaft ohne NGO’s, unserer zivilgesellschaft. Das würde ja alles nicht funktionieren. Es braucht uns alle. Es braucht die zivilcourage, es braucht die NGO’s und es braucht die staatlichen organe. Die haben viel und gut platz nebeneinander und wenn man in gegenseitigem respekt zueinander plant.“
Frauenpolitik erfordert Mut
„Wenn ich sag, ich bin frauenpolitisch aktiv, dann muss ich mutig sein, dann muss ich mich traun, unliebsamen haltungen entgegnen. Also wir haben immer wieder in der vergangenheit themen gesetzt, die auf wahnsinnig viel widerstand aber auch häme gestoßen sind, aber das muss man erst einmal aushalten, dass die leut immer wieder sagen: Ja, das ist ja lächerlich, das geht nicht und ich weiß nicht wie oft ich immer noch höre: Ja, Frau Brem, das ist doch falsch und ein unsinn. Ich weiß aus der praxis, dass es nicht falsch ist und ich weiß, wenn wo ein politischer wille ist, immer auch ein politischer weg ist, um etwas umzusetzen, wenn man sich traut. Und wenn als feministin denke ich mir, muss man was aushalten und dass man trotzdem bei seiner meinung bleibt. Ich erleb schon frauen, die sagen, sie sind frauenpolitisch aktiv, aber wenn dann ein unliebsamen thema, z.B. die gemeinsame obsorge, kommt, dann ist man plötzlich ganz schnell im mainstream und schwimmt mit, dass eh alles gut ist und dass wir eh schon so gleichgestellt sind und dass das eh nur die ganz radikalen feministinnen fordern. Dabei basiert das gesetz der gemeinsamen obsorge auf einem falschen gesellschaftlichen grundsatz, weil man geht in diesem gesetz davon aus, dass die rechte und pflichten von männern und frauen gleich sind. Aber so ist es ja nicht. Frauen verdienen weniger, die reproduktive arbeit, die pflege der alten, hausarbeit. Das ist doch noch immer in der mehrzahl, das trau ich mich zu behaupten, in der mehrzahl der familien bei den frauen. Und ich erleb wirklich viele frauen, die jahrelang- und das sind wirklich jahre – in obsorgeverfahren stehen mit ihren kindern, die kinder leben bei ihnen, sie leben in prekären wohnverhältnissen mit wenig einkommen, immer in der angst, dass sie die kinder verlieren. Das heißt, hier taumeln die frauen und kinder in eine große armutsfalle. Das finde ich immer wieder sehr beklemmend und jetzt erlaube ich mir da ein bissl einen polemischen vergleich, aber früher hat‘s g‘heißen „Zurück zum herd!“ Jetzt heißts „Work Life Balance“. Da ist ja alle super, wenn man die „Work Life Balance“ haltet. Wenn man eine gute beziehung hat. Ich spreche jetzt von paaren, die kinder haben. Wenn da alles gut ist, ist es eh fein. Das problem ist nur, wenn’s dann nicht mehr alles wonne waschtrog ist, wenn es zur sache geht, dass dann frauen mit 9-10 stunden und schlecht bezahlten jobs vielleicht kaum mehr eine möglichkeit haben, sich ihre miete und ihren alltag zu finanzieren. Und das macht frauen so dermaßen erpressbar, das kann man sich gar nicht vorstellen. Frauen stimmen dann plötzlich allem zu aus angst, auch die kinder zu verlieren und das finde ich wahnsinnig beklemmend. Ich hoff wirklich, dass man da noch einmal, vielleicht braucht das noch einmal einen neuen schwung, um zu anderen haltungen zu kommen. Dass zum beispiel wirklich bei einer obsorgeverhandlung einmal gefragt wird, was denn der vater bisher gemacht hat, also hat er sich tatsächlich eingebracht. Damit mein ich nicht, dass er einmal in der woche das kind in den kindergarten gebracht hat, sondern hat er die schuh vom kind geputzt, hat er die wäsche gewaschen, hat er das kind gewickelt, hat er mit ihm die mathehausübung gemacht. Putzt er auch die toilette und kocht nicht nur am Sonntag für freunde. Also all diese dinge, die muss man sich noch anschauen als gesellschaft. Wo man sagt, wir sind gleich, mit gleichen rechten, dann muss es auch um die gleichen pflichten gehen und das fehlt leider. Und wenn ich schon über obsorge spreche. Ich bin auch oft so erstaunt, dass traditionelle erziehungsmuster so wenig hinterfragt werden. Also wenn töchter und söhne nicht gleich behandelt werden, wenn mädchen überhaupt keinen freiraum haben, strengen vorschriften gehorchen müssen, dass burschen zum beispiel nicht im haushalt mithelfen müssen. Es gibt familien, wo diese ganz traditionellen familienbilder oder frauenbilder und männerbilder extrem gelebt werden. Das ist finde ich ist ein riesenproblem, weil es auf die folgende generation verlagert wird. Und, das interessante ist, da habe ich jetzt das gefühl, dass wir hier wieder in das kippen, dass gewalt in der familie doch ein bisserl wieder privat ist, dass das was in der familie passiert und auch wenn‘s eine menschenrechtsverletzung ist, ja doch ein bissl die familie angeht, dass wir wegschauen von ungleichheit und rollenbilder übersehen, die eine katastrophe und mittelalterlich sind. Nicht nur, aber doch kommt es vielfach von zuwanderern, die aus sehr patriarchalischen strukturen kommen, nicht von allen zuwanderern, weil zuwandern tun ja wie wir wissen ganz verschiedene menschen, aber natürlich auch leute, die ein frauen-mann-bild haben, das unseren werten einfach nicht mehr entspricht. Und ich finde, da müssen wir als gesellschaft ganz klare haltung zeigen. Dass man da unterschiedliche kriterien bei gericht anlegt oder beim jugendamt, das finde ich, das geht nicht. Das kann einfach nicht sein.“
Die neue Bedrohung der Cybergewalt
„Das thema, das abseits der gemeinsamen obsorge unsere arbeit wirklich sehr erschwert hat ist das thema der Cybergewalt. Wir verstehen unter Cybergewalt einfach das, was mit iphons, überwachung und sonstigen möglich ist. Leider ist es oft so, dass unsere frauen was technisches betrifft nicht sehr affin sind. Das beginnt, dass ihr der mann die accounts für die mails, für whatsapps, fürs handy einrichtet und es finden sich dann auf den handys spywares, wo der mann alles mithört, wo er überwacht, wo er immer weiß, wo die frau ist. Das ist ein teil. Das andere ist einfach, dass beschämende dinge ins internet gebracht werden, oder auf whatsapp gestellt werden und wenn sie sich vorstellen, ein nacktfoto, das in zeiten der liebe gemacht worden ist, wenn ein mann einer lehrerin droht, dass er das foto an ihre schüler*innen schickt, dass ist für die frau wirklich eine katastrophe, weil die ihr leben nachaltigst schädigt. Genauso auch für die afghanische frau, wo der mann das der familie in Afghanistan schickt. Da ist wirklich panik und lebensangst da und da hab ich auch oft das gefühl, dass sich die gewalt immer wieder verändert. Vielleicht schlagen in Österreich vielleicht weniger männer ihre frauen, obwohl die mordrate gar nicht sehr dafür spricht, aber fakt ist, dass diese überwachung schon sehr zunimmt und da spiegelt sich für mich dieses machtungleichgewicht wieder. Es sind überwiegend männer, die ihre frauen überwachen und ausspionieren, kontrollieren und demütigen. Und ich hab so das gefühl, diese form der gewalt wird total unterschätzt. Ich merk, dass die frauen, die zu uns kommen, die so lange kontrolliert und ausspioniert worden sind, das ist ein ganz arges lebensgefühl. Diese ständige angst, dass alles öffentlich werden kann, dass man jederzeit damit rechnen muss, dass wieder irgendwas abgehört worden ist, das macht wirklich eine extreme panik. Die frauen sind wirklich sehr in aufruhr und sehr verzweifelt. Wir haben mittlerweile in unserer beratungsstelle auch, dass wir von frauen, die zu uns kommen und uns davon berichten, verlangen, dass sie ihr handy kurzzeitig wegsperren lassen, damit wir auch sicher sein können, dass das beratungsgespräch ohne mitschnitt erfolgt. Also, da sind wir angekommen und das ist natürlich völlig grauslich und widerlich. Also jemand, der es notwenig hat, seiner frau nachzuspionieren, da denk ich mir, wenn man da nicht erkennt, dass man ein riesenproblem hat, das versteh ich einfach nicht. Das kann einfach nicht sein.“
A propos Mindestsicherung: Sozialer Friede kostet Geld
„Wenn ich in zeiten wie diesen höre, dass an der mindestsicherung gekürzt wird, dann denk ich mir, das ist ein wahnsinn für die frauen. Es wird noch schwieriger. Ich meine, es ist eh unglaublich, mit wie wenig ressourcen menschen sozusagen schon zurechtkommen, aber es darf nicht noch weniger sein und ich glaube auch, dass man gerade in großen städten, da ist es vielleicht ein bissl anders als am land, da würde ich wirklich differenzieren, für den sozialen frieden auch ein was zahlen muss. Bringen wir leute dazu, dass sie unter einem minimum an überlebensmöglichkeit leben müssen, dann werden sie auf die barrikaden steigen. Das ist so. So lange man schaut, dass man sich möglichst gut in die gesellschaft integriert, in jobs integriert, das muss natürlich das hauptaugenmerk sein. Aber wir müssen auch sagen, dass es welche gibt, die das nicht können oder nicht wollen. Und die sozusagen durch noch weniger und noch weniger in eine situation zu bringen, wo sie eigentlich keine andere möglichkeit mehr haben wie sich zur wehr zu setzen, das finde ich den falschen weg und ich glaub, wenn Wien die lebenswerteste stadt der welt ist, dann glaub ich auch, dass ein teil davon ist, dass wir ein gutes sozialsystem haben. Das glaub ich wirklich und man mit dem problem von armut und mit leuten, die am rande unserer gesellschaft gehen und nicht in unsere hochleistungsgesellschaft passen, aus verschiedendsten gründen nicht schaffen, mitzuhalten, reinzukommen, dass man denen trotzdem ein gewisses würdiges leben gibt. Ich finde es hochgefährlich, wenn das nicht mehr ist also wenn wir leuten die mindetsicherung kürzen und kürzen, dann glaube ich wird es zu sozialen problemen, zu riesigen sozialen problemen kommen, die mehr kosten werden als das, was sie jetzt eingespart wird, das ist meine tiefe überzeugung.“
Lästigbleiben verändert die Gesellschaft
„Ich finde die Frauenhäuser oder die Gewaltarbeit in Österreich ist wirklich eine erfolgsgeschichte und es ist wahnsinn, wie viele frauen und ihre kinder es schaffen, mit hilfe der Frauenhäuser, der Interventionsstellen, der Frauenberatungsstellen und auch der Männerberatungsstellen und auch der Polizei dieser gewalt zu entkommen. Da kann man als gesellschaft wirklich stolz sein. Wir freuen uns wahnsinnig, wenn wir merken, dass frauen zu ihrer kraft zurückfinden, dass sie wieder selbstbewusstsein haben, dass sie vielleicht wieder einen besseren job finden, sich fortbilden, also eine weiterbildung machen, den schlüssel der eigenen wohnung in der hand halten, dass sie wieder lachen und lebensfreude haben und mit ihnen ihre kinder. Das finde ich wahnsinnig schön für uns aber auch für die gesellschaft, aber ich denke auch, dass wir frauen immer auf der hut sein müssen, erkämpftes nicht für garantiert nehmen und für sicher zu halten. Ich glaube, dass wir ganz schnell wieder frauenrechte verschwunden sind, wenn sich die politischen verhältnisse auch verändern. Das geht oft ganz ganz schnell. Wir müssen lästig bleiben. Eine frauenbewegung, die angepasst ist, ist keine frauenbewegung mehr. Wir müssen uns trauen, unliebsame meldungen zu machen, sonst gehen wir am thema vorbei. Vielleich auch manchmal mehr fordern als an das was wir glauben, einfach um bewegung in erstarrte systeme zu bringen. Ja und ich glaub, dass man da manchmal viel persönlichen einsatz leisten muss und auch viel einstecken muss, aber es ist einfach wichtig, lästig zu bleiben. Ich glaub, das verändert die gesellschaft.“
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Dazu passende „Gedanken“-Texte von früher:
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http://www.dorfwiki.org/wiki.cgi?Triesterviertel/GedankenInhaltsVerzeichnis#KinderElternGro%C3%9Feltern Inhaltsverzeichnis „Kinder-Eltern-Großeltern“