Diese meine monatlichen „Gedanken eines besorgten Großvaters“ stehen am Beginn meines neunten Lebensjahrzehnts und sind die ersten im Jahr 2023.
Die Anfangsbuchstaben der Schlüsselwörter des Titels „Solidarität und Nachbarschaft“ ergeben sehr passend das englische Wort für „Sonne“. „SUN-IT im Triesterviertel“ übersetze ich sehr persönlich mit: „Die Sonne möge im (bunten) Triesterviertel scheinen“. SUN bedeutet für mich: Solidarität Und Nachbarschaft. Und um Solidarität IN der Nachbarschaft – beginnend in unserem Wohnhaus Zur Spinnerin 2 – geht es in fast allen meinen bisherigen 168 Texten. Mit ALLEN Menschen, die hier auf Basis der allgemeinen Menschenrechte leben.
„Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen“am 25.11. und der
„Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, die 2023 ihr 75-jähriges Bestehen feiern werden.
Der „Modell-Bereich“: 10.Bezirk: Wohnhäuser zwischen Buchengasse, Knöllgasse, Rotenhofgasse und Gußriegelstraße
ES WERDEN GESUCHT: INTERESSIERTE, DIE BEREIT SIND, MIT UNSEREM PRIVATEN GRÄTZLVEREIN EIN MODELLHAFTES „REGIONALES NETZWERK“ ZU ENTWICKELN. Es soll in der Folge den Kontakt zu verschiedenen Facheinrichtungen aufbauen.
Zur Konzeptideeund :Warum gerade Mammutbäume als Veranschaulichung („Metapher„)? Sie sind zwar Flachwurzler, aber ihre Wurzeln sind mit den umgebenden Bäumen gut verbunden. GEMEINSAM überleben sie deshalb auch Stürme, Erdbeben und andere Gefahren. Ähnliches zeigt sich auch historisch lokal bis global bei anderen solidarischen Gruppierungen(Familien, Religionen, Parteien usw.)Sie können einander bei Bedarf durch Wissen, Fähigkeiten und Erfahrung unterstützen, unabhängig von anderen hilfreichen „Netzwerken“. EINZIGE VORAUSSETZUNG BEI DIESEM PROJEKT: IN DER UMGEBUNG WOHNEN!
Gehört habe ich vom Vergleich mit den „Mammutbäumen“ am 29.12. im „Radiokolleg“ auf Ö1: „Die Kraft der Zuversicht in Krisenzeiten -Was uns in Krisen wachsen lässt“ im Gespräch des ORF-Moderators, Sendungsgestalters und Theologen Herrn Dr.Johannes Kaup mit Frau Dr.Melanie Wolfers, Ärztin, Theologin, Ordensfrau und erfolgreiche Buchautorin.
Aus dem Gespräch:
Kaup: Ich war zwei Jahre in Afrika. Meine Erfahrung war, diese Menschen haben trotz Armut mit Freude und Zuversicht im Alltag gelebt, mit einem Lächeln auf den Lippen. Das ist ein Reichtum, der hierzulande oft fehlt, wenn man durch die Straßen geht. Könnte das mit so etwas wie Dankbarkeit für das Gegebene zu tun haben?
Wolfers: Zuversicht ist eine zwischenmenschliche Ressource. In dem Maße, indem wir sie teilen, wächst sie. Ich glaube, das hat etwas mit Dankbarkeit zu tun und der Erfahrung von Verbundenheit und indem in ein Netzwerk eingebettet zu sein.
Mir fällt da ganz spontan eine Geschichte ein, die ich unlängst bei Ulrich Schnabel gelesen habe über die Mammutbäume. Die Mammutbäume sind ja ganz beeindruckende Riesen, die über 100 Meter hoch wachsen und auch tausend Jahre alt werden können. Doch das Erstaunliche ist nicht nur ihre Größe und ihr Alter, das Erstaunlichste ist unter der Erdoberfläche verborgen, nämlich: Diese Riesenbäume sind Flachwurzler, das heißt, sie treiben ihre Wurzeln nicht mehr als einen Meter tief in den Boden. Und da stellt sich natürlich die Frage, woher nehmen diese Bäume ihre Kraft, den Stürmen, Orkanen und Erdbeben über so viele Jahre zu trotzen?
Das Geheimnis liegt in den Erfahrungen von Kooperation. Sie treiben ihr Wurzelwerk so weit, dass sie sich mit dem Wurzelwerk der anderen Mammutbäume verflechten und ein ganz dichtes Netzwerk bilden. Sie haken sich gewissermaßen unter und können so gemeinsam den stärksten Stürmen trotzen.
Und so ähnlich gibt es diese Kraft des Wirs. Dort, wo ich nicht nur nach mir schaue, nach dem, wo ich bleibe und nach dem eigenem Vorteil. Wo es genauso das Gemeinsame und das Gesellschaftliche gibt. Das kommt uns allen zu Gute. Die Kraft des Wirs wird ganz wunderbar verdeutlicht in diesem Wunderwerk der Mammutbäume und ihrem Wurzelgeflecht.“
FE: Dadurch würden SOLIDARISCHE AKTIVITÄTEN IN DER NACHBARSCHAFT entstehen. Diese könnten ab sofort ohne unerwünschtem Einfluss von außengeplant werden!
Rechtsträger: Verein „triesterviertel.at“Kontakt: Fritz Endl 1100, Zur Spinnerin 2/30 mail@triesterviertel.at
……..sollten jährlichauf freiwilliger Basis und möglichstmoderiert stattfinden, sowohl bei Wohnhäusern der Stadt Wien und nach räumlichen Möglichkeiten auch bei allen anderen Eigentümern. Die Medien könnten unterstützend auf die demokratiepolitische Bedeutung solcher Hausversammlungen hinweisen.
Dadurch könnten Mieter*innen wenigstens über die wichtigsten konkreten Auswirkungen der zunehmend undurchschaubaren Entwicklungen informiert werden, wenn das von mindestens der Hälfte gewünscht wird.
Ebenso wichtig wären Hausversammlungen, um unfreiwilliger Vereinsamung entgegen zu wirken. Gespräche über gemeinsame Hausanliegen schaffen Vertrauen. Das kann auch in konflikthaften Situationen die Hilfe untereinander erleichtern.
Bei Gemeindebauten wären vermutlich die Räume der „Wohnpartner“ ein möglicher Ort für Treffen. Wenn es in Wohnhäusern von anderen Bauträgern keine geeigneten Räume geben sollte, könnten vielleicht solche Hausversammlungen auch in einem der fünf „Stadtteilbüros“ der „Gebietsbetreuung Stadterneuerung“ stattfinden. Jedenfalls sollten sie entsprechend moderiert und deren Ergebnisse an die jeweiligen Hauseigentümer weitergeleitet werden.
Zur Bedeutung von Hausversammlungen:
Gemeinsame Themen könnten besprochen werden
die Isolation würde verringert werden
die Chance von nachbarschaftlicher Hilfe würde gestärkt, wenn das gewünscht wird
Sicherheit und Schutz würde geboten und vor allem
der Kontakt zwischen Hausverwaltung und Bewohner*innen könnte gefördert werden.
Seit März 2021 gibt es in diesem Sinn in unserem Haus Zur Spinnerin 2 eine „Kontaktgruppe“, um gemeinsame Anliegen von uns Mieter*innen an die Hausverwaltung weiter zu leiten. (Dazu Näheres)
3.11.2021: Am Vormittag wurde die Tafel von meiner Frau Helga und mir montiert und am Abend der Leiterin des Bezirksmuseums Eva Fischer, dem „Objektmanager“ des ÖSW Stefan adler und unseren Mitbewohner*innen präsentiert.
Ansprache von Stefan Adler:
„Vielleicht ist das jetzt nicht, was sie sich erwarten, dass nämlich hier in Marmor und Goldbuchstaben stehen wird, was für großartige Wiener in diesem Haus gelebt haben. Sondern hier steht eine Botschaft von ganz normalen Menschen, die in diesem Haus oft schon über Jahrzehnte wohnen und die es aber gemeinsam zu einem ganz besonderen Haus gemacht haben…..(Enthüllung der Tafel durch Herrn Stefan Adler sowie Frau Sabrique Özyer und dem Schreiber im Namen der „Kontaktgruppe“ des Hauses )
Ich lade sie in Vertretung des Österreichischen Siedlungswerkes ein, lesen sie genau, was da steht und erzählen sie bitte auch diese Botschaft weiter: Dass nämlich auch in vielen anderen Häusern mit relativ einfachen Mitteln ein gutes Zusammenleben möglich ist.“
Text der Tafel:
Dieses Haus wurde 1890 erbaut. Hier wohnten oft kinderreiche Familien, die im Betrieb des Großfuhrmanns Karl Weber arbeiteten.
Nach einigen Besitzerwechsel wurde es 1995 zum Spekulationsobjekt. Durch Vermittlung des damaligen Wohnbaustadtrates übernahm das Österreichische Siedlungswerkdas Haus. Es wurde „sockelsaniert“ und konnte 1998 den Mietern/Mieterinnen übergeben werden.
Zur Spinnerin 2 wurde damit zu einem erfreulichen Modell im Sinne der „SANFTEN STADTERNEUERUNG“. Es zeigt die Chancen einer Zusammenarbeit zwischen Stadt, Bauträger und solidarischer Hausgemeinschaft.
„Global denken, lokal handeln“ = Ziel der „Rio-Deklaration“ von 1992.
170 Staaten haben in Brasilien ein Aktionsprogramm unterzeichnet mit dem Ziel, im 21. Jahrhundert in einer zukunftsfähigen Welt zu leben. Sie ist auch unter der Bezeichnung „Agenda 21“ bekannt.
….gegen die zunehmende Vereinsamung in der Stadt !
Auch in Wien kann es vorkommen, dass ein Kind/eine Frau geschlagen wird und niemand vom Haus reagiert oder Menschen stunden-, tage – oder sogar wochenlang in der Wohnung liegen, ohne Hilfe zu erhalten.
Eine relativ leicht organisierbare Möglichkeit, das zu verhindern, wären „Telefonringe“.
Die Idee lieferte Heinrich Hoffer (Büro PlanSinn) 2007/08 im Rahmen des „sALTo“ – Projektes der Stadt Wien im „Triesterviertel“: „Gut & selbstbestimmt älter werden im Stadtteil – Wie können Menschen möglichst lange selbstbestimmt, gesund und aktiv im heimatlichen Grätzl leben?“
Wie funktioniert ein „Telefonring“?
Zwischen fünf und zehn Personen bilden einen „telefonischen Ring“, das heißt: Jeden Tag innerhalb eines vereinbarten Zeitraums (z.B. zwischen 11 und 13 Uhr) ruft die Person A die Person B an. Es wird nur ein kurzes Informationsgespräch (1-2 Minuten) geführt: „Wie geht´s ? Alles in Ordnung?“ Vielleicht auch: „Was haben sie heute vor?“ B ruft nun C an usw. bis die letzte Person wieder A anruft.
„Nicht unserer Vorväter und – mütter (FE) wollen wir trachten, uns würdig zu zeigen – nein, unserer Enkel.“ (Bertha von Suttner)
Es wird keine Fortsetzung geben:
Mit diesen 150. “Gedanken eines besorgten Großvaters“ wollte ich beginnen, mir auch über die Geschichte unserer Familie Gedanken zu machen und möglichst viele „Spuren“ zu sammeln.
Leider verstärkte sich durch einige Bücher, die ich zuletzt speziell über die Jahre rund um 1938 gelesen habe, die Gewissheit, dass die auf diesem Foto glücklich versammelte Endl-Familie von den beginnenden Judenverfolgungen zumindest gewusst haben musste.
Ganz besonders traurig stimmt mich mein Vater, der noch bis 1945 überzeugter Hitleranhänger gewesen ist, wie aus seinen Briefen zu entnehmen ist. Daher werde ich mich mit dieser beschämenden Geschichte meiner Familie vor 1945 (zumindest öffentlich) nicht mehr befassen, sondern umso mehr mit der Stärkung des friedlichen Miteinanders in unserer Nachbarschaft.
Die Eltern meines Vaters (Heinrich 1865-1945 und Anna 1872-1945) haben in Nachbarhäusern auf der Triesterstraße gewohnt (Nr.42 und 44) und 1896 knapp vor dessen Geburt geheiratet. Mein Vater war also ein geborener „Triesterviertler“. Ich bin erst 1968 nach unserer Heirat vom 15. Bezirk in eine „Zimmer-Küche-Kabinett“ Wohnung) nach Favoriten gezogen und wohne seit 1980 im „Triesterviertel“.
Am Foto die Famlie Endl aus dem Jahr 1938: Dritter von rechts mit Brille mein Vater, rechts daneben Schwester Anna, links stehend Bruder Leopold, dessen Frau Sissy, meine Mutter Mitzi, Großvater Heinrich, Bruder Pepi, ganz links Schwester Mitzi.
Ebenfalls vom Jahr 1938 berichtet Manfred Flügge im Buch „Stadt ohne Seele – WIEN 1938“: Für den „Aufbau“-Verlag „Ein Zeitroman und Schicksalspanorama: Der „Anschluss“ Österreichs durch die Nazis im März 1938 und ihr Einmarsch in Wien waren ein traumatischer Wendepunkt in der europäischen Geschichte“
Für die fünf Geschwister unserer Familie war aber das Jahr 1938 kein „Wendepunkt“ in ihrer guten Familiengemeinschaft und den unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Positionen der drei Brüder: Deutschnational (mein Vater), (vermutlich) sozialdemokratisch (Onkel Pepi) und (vermutlich) katholisch&monarchistisch (Onkel Poldi). Gemeinsam war aber offenbar den drei Brüdern der zunehmende Antisemitismus in den 30-er und 40-er Jahren. Ich möchte mich jedenfalls in meinem Engagement künftig lieber unseren beiden Enkerlmädchen als „würdig“ erweisen als diesen „Endl-Vorfahren“.
Die Überschrift „Mein Papa, zwei Kriege und ich“ bezieht sich auf den Titel eines Buches, das ich schon gelesen habe: „Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich“ Die Autorin Nora Hespers (Jg 1978), eine deutsche Journalistin, beschreibt darin das Leben ihres Großvaters Theo Hespers, der 1943 wegen „Hochverrats“ hingerichtet worden war. In ihrem Blog „Die Anachronistin“ informiert Nora Hespers seit 2014 über die Geschichte ihres Großvaters.
Im Unterschied zu Theo Hespers war mein Vater leider kein Widerstandskämpfer gegen das Hitler-Regime, sondern bis 1945 dessen überzeugter Anhänger.
Privatfoto 1944 mit zwei Jahren am Arm meiner Mutter und den Geschwistern Heidi (4 J.), Heinz (HJ, 10 J.) und Evi (BDM, 16 J.)
Ich kann daher nicht stolz sein auf meinen bis 1945 „deutschnational“ gesinnten Vater und dessen Geschwister (Siehe oben) und setze „Mein Papa, zwei Kriege und ich“ nicht fort.
Meine Frau Helga und ich hoffen natürlich, dass auch unsere beiden Enkerln einmal stolz auf uns sein werden, auch wenn wir das Glück haben, seit mehr als sieben Jahrzehnten in einer Demokratie zu leben und keine „Widerstandskämpfer“ sein müssen.
Nachbarschafts („Grätzl“-) Volksschulen mit mehrsprachigen Mehrstufenklassen statt einsprachigen Jahrgangsklassen sind „Investitionen mit Gewinngarantie“ in die Zukunft unserer Gesellschaft.
Als Lehrer in den 70-er und 80-er Jahre an einer Hauptschule in Wien Favoriten (heute eine typische „Soziale Brennpunktschule“) engagierte ich mich zunehmend für eine Öffnung aller Schulen für die sie umgebende Nachbarschaft („Grätzlschule“, „Stadtteilschule“, Community School usw.)
Dadurch könnten Eltern und Großeltern das Schulgebäude auch als „ORT DER BEGEGNUNG“ erleben, die Schule als örtliches Kulturzentrum!
Seit sechs Jahren dürfen meine Frau (sie war Volksschullehrerin in Favoriten) und ich als Großeltern zweier Mädchen die Mehrstufenklasse (MSK) einer öffentlichen Volksschule in der Haebergasse in Wien Meidling bei verschiedenen Gelegenheiten begleiten. Die Ältere ist schon in der 6.Schulstufe und die Jüngere wird diese Schule demnächst ebenfalls verlassen.
In diesen sechs Jahren als MSK- „Begleit-Großeltern“ wurden wir nun auch zu Befürwortern von Mehrstufenklassen an allen Volksschulen.
Uns ist natürlich bewusst, wie subjektiv unsere Erfahrungen und Eindrücke aus diesen sechs MSK-Jahren mit unseren Enkerln sind/sein müssen.
Wir begleiten unsere beiden Enkerln seit dem ersten Schultag aus Großelterndistanz auf deren – für uns alle neuen – „Schulweg“.
Neu an der MSK und sofort sichtbar für uns war vor allem: Es gibt Kinder von vier Jahrgangsstufen und es unterrichten ZWEI Lehrerinnen. Dass diese beiden Lehrerinnen gut zusammenarbeiten und sie mit großem Einsatz bereit und auch fähig sind, aus dieser unterschiedlichen Kindergruppe eine Gemeinschaft zu formen, die einander hilft, beeindruckte uns immer mehr.
Es zeigt sich auch hier: In erster Linie kommt es auf entsprechend ausgebildete und kinderliebende LehrerInnen an. Und: Sie brauchen Rahmenbedingungen, die sie bei ihrer Arbeit möglichst gut unterstützen. (Dazu mehr im Anschluss)
Unsere Enkerln wussten z.B. bald, welche älteren MitschülerInnen sie ebenfalls um Hilfe bitten konnten und später konnten sie den Jüngeren helfen. Und da diese MSK Teil einer öffentlichen Volksschule ist mit Kindern mit nichtdeutscher Erstsprache, können sie einander z.B. auch bei Sprachproblemen rasch helfen und somit die LehrerInnen entlasten.
Wir sind dem glücklichen Zufall sehr dankbar, dass unsere beiden Enkerln „gleich ums Eck“ in diese MSK gehen konnten und sie zudem solche Lehrerinnen hatten. Auch aus dieser Dankbarkeit heraus möchten wir uns künftig für den Ausbau von MSK einsetzen, damit möglichst viele andere Großeltern ihre Enkerln ebenfalls in solchen Klassen begleiten können.
Einige Fragen von Eva Pankratz
(Mutter eines MSK-Kindes in der Volksschule Ortnergasse 4 im 15.Bezirk):
* Was wird mit den bestehenden Mehrstufenklassen ab 1.9.2017 passieren?
* Gibt es eine Finanzierungszusage ?
* Was soll mit den Kindern dieser Klasse passieren, falls eine TeamlehrerInnenfinanzierung nicht geklärt ist oder die DirektorInnen gegen Mehrstufenklassen sind?
* Gibt es eine Fixzusage für bestehende Mehrstufenklassen?
* Gibt es ein mögliches Ausstiegsszenario, wenn die Finanzierung nicht geklärt ist usw.
Werner Mayer:
Ehemaliger Schulleiter der VS 15, Ortnergasse 4, deren Mehrstufenklasse zu den ersten in Wien zählt, und derzeit Mitglied der Forschungsgruppe Literalität und Mehrsprachigkeit am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien
Zur Zukunft der Wiener Mehrstufenklassen
Zwei grundlegende Aspekte:
1 – Die Wiener Mehrstufenklassen haben die Vorgaben der aktuellen Bildungsreform im Bereich der Grundschule in vollem Umfang erfüllt und das seit gut zwanzig Jahren.
Die bisher veröffentlichten Texte zur Bildungsreform stellen Individualisierung und Kompetenzorientierung in den Mittelpunkt, räumen autonomer Organisation der Stufengliederung Raum ein und gewähren Freiheit der Leistungsbeurteilung. Gut. Aber wirklich nicht neu.
2 – Die Wiener Mehrstufenklassen können nach zwei Dezennien im Stadium des Schulversuchs in das Regelschulwesen übergehen. Können. Müssen nicht. Wenn, dann unter den Bedingungen der Regelschule. Es kann jedenfalls bedeuten, dass künftig Mehrstufenklassen in der Zuteilung von LehrerInnenstunden allen Jahrgangsklassen gleichgestellt sein werden.
Die Wiener Mehrstufenklassen entstanden aus dem Wunsch heraus, den zentralen Forderungen des Grundschullehrplans (aus dem Jahr 1985!) nach Individualisierung des Unterrichts und der Förderung aller einzelnen Kinder in einer Weise nachzukommen, die durch das Kalenderdiktat der Jahrgangsklasse bzw. einen weitest gehend gleichgeschalteten Unterricht für die Gesamtklasse erschwert wird.
Jahrgangsklassen – und hier nehme ich alle jene aus, die sich durch Individualisierung und persönliche Förderung auszeichnen – erwecken die Illusion einer homogenen, gleich bildbaren Alterskohorte, bzw. dass Gleichaltrige durch jeweils ein altersgemäßes Unterrichtsprogramm zu laufen haben. Nicht bedacht wird, dass die Altersspanne einer Jahrgangsklasse eineinhalb Lebensjahre oder mehr beträgt und dass einzelne Kinder in verschiedenen Lernbereichen der angenommenen Altersnorm verschieden weit voraus oder hintendrein sein können.
Mehrstufenklassen können/konnten diesen Aspekt problemlos abfedern, weil hier immer alle Stufenprogramme gleichzeitig angeboten werden. Ein Kind, das bei Schuleintritt lesen kann, muss sich nicht durch ein monatelanges Erstleseprogramm mit Buchstaben und Silben quälen. Ein Kind, dem sich Lesen nicht in der vorgesehen Zeit erschließt, findet immer Unterrichtsangebote, die seinem Niveau entsprechen.
Jahrgangsklassen – auch hier nehme ich alle jene aus, die sich durch Individualisierung und persönliche Förderung auszeichnen – arbeiten ihre Inhalte ab, im Takt von einführender Erklärung, Übung und Überprüfung des Unterrichtsertrags. Kinder, die aus diesem Takt fallen, haben in der Regel Pech, denn nach der Überprüfung kommt einen neuer Zyklus mit einführender Erklärung, Übung und Überprüfung des Unterrichtsertrags mit neuem Inhalt.
Mehrstufenklassen wollen/wollten den Kindern durch in Jahreszyklen wiederkehrenden Inhalten jene Redundanz bieten, die Lernen erleichtert und vertieft. Was in einem Zyklus fremd und unzugänglich ist, kann im nächsten einleuchtend werden und im nächsten geläufig.
Jahrgangsklassen – auch hier meine ich nur die mit solitärem, synchronem Programm für alle – sind bald einmal durch Anwesenheit von mehrsprachigen Kindern in der Klasse überfordert, deren Deutsch noch nicht auf der Höhe der einsprachigen Alterskohorte ist. Einführende Erklärungen der Lehrerin/des Lehrers zu wichtigen Inhalten können nur schwer auf einem rudimentär einfachen Sprachniveau – das von allen verstanden wird – erfolgen.
Mehrstufenklassen wollen/wollten auch diese schwierigen Situationen entschärfen, indem sie den LehrerInnen-Vortrag aus dem Zentrum nehmen und durch kommunikative Auseinandersetzung mit – und in – der Kindergruppe ersetzen. Denn Kinder finden in der Regel mit Leichtigkeit eine zugängliche Sprache. Dasselbe gilt hier für die Rezeption der Lehrbücher. Wenn die Rolle von Lehrbüchern aus dem Rang von Anweisungen hin zu Informationsquellen verschoben wird, läuft die Bearbeitung neuer Inhalte grundsätzlich in kommunikativer, verständlicher Auseinandersetzung individuell und kompetenzorientiert.
In diesem Sinn verstehen/verstanden sich Wiener Mehrstufenklassen nicht als Gegenentwurf zu traditionellen Jahrgangsklassen sondern als organisatorischer Rahmen, der genau das zum Ziel hat, was die aktuelle Bildungsreform proklamiert.
Die Wiener Mehrstufenklassen haben sich von Beginn an nicht als Klassen mit Abteilungsunterricht verstanden, in dem je Kind ein Teil LehrerInnen-Zuwendung von drei Teilen Stillarbeit abgelöst wird. Unterricht bedeutet je Kind ein auf seine Eigenart abgestimmtes, begleitetes Arbeitsprogramm eingebettet in – kommunikativ gestaltete – Gruppenprozesse.
Wiener Mehrstufenklassen waren von Beginn an als Teamteaching konzipiert, als Gegenentwurf zum Abteilungsunterricht und als einzige Möglichkeit, eine überschaubare und in ihrer Diversität sichtbare Gruppengröße begleiten zu können. Sicherlich: die Teamteaching-Zeiten für Mehrstufenklassen wurden in den letzten Jahren sukzessive auf elf Wochenstunden reduziert, immer mit der Erklärung der unleistbaren Kosten. Von über 300.000 GrundschülerInnen in Österreich machen 3.000 in Wiener Mehrstufenklassen etwas unter einem Prozent aus. Nach bestehendem Berechnungsschlüssel für den LehrerInnen-Personalplan macht das ein Verhältnis von 12.000 zu 120 Vollbeschäftigungsequivalenten aus. Also leistbar.
Nun stehen aber die Wiener Mehrstufenklassen nicht nur vor dem Aus der Ära des Schulversuchs. Wenn das in der Schulversuchsbeschreibung festgelegte Teamteaching nicht ins Regelschulwesen übernommen wird – und nichts deutet darauf hin, dass es beibehalten werden soll – wenn also eine Lehrerin/ein Lehrer die vier – im Fall von Kindern auf der Vorschulstufe fünf – Schulstufen allein bestreiten soll, fällt alles, was an Innovation und pädagogischer Optimierung zustande gekommen ist, in den Abteilungsunterricht zurück.
In allen veröffentlichten Ausführungen zur Bildungsreform werden Maßnahmen als – erstmals – möglich beschrieben, die in den Wiener Mehrstufenklassen verwirklicht sind. Der Haken findet sich aber in kaum sichtbaren Details: für organisatorische Entscheidungen zu stufenübergreifendem Unterricht an den Standorten sollen pädagogische Argumente Vorrang haben, aber nur, wenn die Regeln des Finanzlandesausgleichs nicht verletzt werden. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass sich diese Regeln nicht ändern. Der Schulleitung und dem Schulforum wird eine Entscheidungsfunktion zugestanden aber im selben Absatz von der Entscheidung der Schulbehörde eingeschränkt, die natürlich vom Finanzlandesausgleich abhängig ist.
Mehrstufenklassen werden von Eltern sehr bewusst für ihre Kinder gewählt und sie nehmen auch längere Schulwege in Kauf. 3000 Kinder in Mehrstufenklassen haben gegen 6000 Erziehungsberechtigte. Es wird aber sehr schwer sein, ihnen zu erklären, dass aufgrund geänderter Rahmenbedingungen bestehende Mehrstufenklassen aufgelöst werden müssen.
Die Folgen-Abschätzung eines Ausstiegs ist alarmierend. Eine Auflösung ist wahrscheinlich das Komplizierteste an dieser Organisationsform. Eine sofortige Aufteilung der Kinder – also alle ohne die AbgängerInnen der vierten Schulstufe – auf bestehende Jahrgangsklassen verkraftet sicherlich keine Schule. Das bedeutet für etliche Kinder auch Schulwechsel. Ein Ausschleichen – indem in den Folgejahren keine Kinder mehr in die Klasse aufgenommen werden – ist genau ein Schuljahr möglich. Im zweiten Jahr sinkt die SchülerInnen-Zahl unter die Klassen-Mindestgröße und ein Aufteilen innerhalb der Schule oder auch auf andere Schulen lässt sich wohl nicht mehr vermeiden.
Abgesehen von den organisatorischen Schwierigkeiten stehen die Akteure von Mehrstufenklassen – das LehrerInnen-Team, die Kinder und ihre Eltern – im Regen, weil die Verlässlichkeit der Schule ausfällt, weil soziale Bindungen vor der Zeit beendet werden, weil pädagogisches Kalkül von angeblicher Unfinanzierbarkeit konterkariert wird. Und sie bleiben solang im Regen stehen, solang die Rahmenbedingungen des Teamteaching ungeklärt ist.
Es mangelt ja nicht an Themen, über die wir Bewohner/Bewohnerinnen des Triesterviertels miteinander reden könnten/sollten/müssten. (Siehe den letzten WordPress-Beitrag über Projektideen)
Das sollte/müsste NUR geplant und durchgeführt werden.
Solche Gespräche sind ohne größeren Aufwand möglich, wie die vier bereits stattgefundenen Bespiele aus den Jahren 2007 und 2013 zeigen: